pgrandweb2015-446,3 Kilometer + 3‘019 Höhenmeter = Engadin Ultraks. Imposante Zahlen, welche zu einem schönen (Lauf)-Ergebnis führen.

Nach dem verletzungsbedingten Forfait am Wien Marathon im April dieses Jahres suchte ich mir eine neue Herausforderung. Die Wahl fiel aus mehreren Gründen auf diesen Lauf. Erstens kannte ich die Gegend bestens aus meinen Trainingslagern auf Muottas Muragl. Zweitens reizte mich das Neue. Einen solchen Wettkampf mit derart vielen Höhenmeter hatte ich dahin noch nie absolviert, den swissalpine einmal ausgenommen. Und drittens war Martin, mein Trainingspartner und Freund, auch auf der Startliste.

Als „alter Hase“ mit vielen absolvierten Marathons stellt die Distanz kaum ein Problem dar. Die Höhenmeter sind es, welche mich beindrucken. 3‘019 Meter rauf. 3‘019 Meter runter. Da schmerzen einem Beine schon beim Lesen der Zeilen. wink

Die Vorbereitung auf diesen Wettkampf verlief zufriedenstellend. Ich bin nie ganz zufrieden. Ich konnte einige Bergtrainingseinheiten mit Höhenmeter machen, aber es hätten auch mehr sein können. Auch mein Kampfgewicht ist zu hoch (+ 3 Kilogramm), aber ich kriege die verda… Schei… einfach nicht runter. frown

Egal. Ich freue mich sehr auf den schmerzhaften Genusslauf. wink

Noch 6 Tage

Das Herunterzählen hatte mit dem heutigen Tag begonnen.

Morgens gönnte ich mir noch ein letztes, feines Frühstück mit selbstgemachtem Zopf von Petra. Meine Frau macht den besten Zopf! kiss Zuvor stand ich mich noch auf die Waage: 74,1 Kilogramm. surprised Ich schlug nochmals mächtig zu, denn es sollten für längere Zeit die letzten Kohlenhydrate sein. Richtig! Die Saltindiät war damit gestartet. Deshalb wog ich auch meine Körpermasse morgens. Interessant wird der Vergleich am Mittwoch sein, wenn die kohlenhydratarme Zeit vorbei ist.

Am Nachmittag absolvierte ich einen längeren, zügigen Dauerlauf (∼80 Minuten) sprich den ersten Entleerungslauf. Mein Sohn Nicola begleitete und betreute mich mit dem Bike, was mich zusätzlich motivierte.

Noch 5 Tage

Zum Frühstück gab es Rühreier mit Pilzen. Mein Standard-Frühstück in der ersten Phase der Diät. Das Mittagessen bestand aus Salat mit Hüttenkäse und abends gab es gefüllte Peperoni mit Hackfleisch.

Natürlich trainierte ich auch noch eine Einheit. Ein lockerer, coupierter Dauerlauf (∼60 Minuten) mit Martin stand vor dem Abendessen auf dem Programm.

Ich fühlte mich gut. Der Hunger plagte mich tagsüber überhaupt nicht. Dies war auch schon anders. Und bei kleinsten Anzeichen von Hungerattacken greife ich nach Nüssen (Mandel- und Walnüsse).

Noch 4 Tage

Ernährungstechnisch ging es mir heute wiederum gut (Eier, Salat, Lachs). Mein linker Oberschenkel bereitete mir bei der abendlichen Trainingseinheit (∼45 Minuten) dann schon mehr Sorgen. Ein Muskelstrang schmerzte. Ein warmes Bad danach tat gut.

Noch 3 Tage

Viel Schlaf ist wichtig vor einem grossen, wichtigen Wettkampf. Darum war ich froh, dass die Fussball-EM eine kleine Pause einlegte und ich so etwas früher ins Bett kam. Auch klingelte der Wecker am Morgen etwas später als gewohnt.

Heute war mein letzter Tag der Kohlenhydratabstinenz. Gewichtskontrolle: 70,9 Kilogramm. 3,4 (!) Kilogramm waren damit innerhalb 3 Tagen weg. Super! smile

Tagsüber fühlte ich mich puddelwohl. Es traten keine Hungergefühle auf, aber das Laufen am Abend (∼35 Minuten) war dann schon etwas anstrengender als die Tage zuvor. Die Glykogenspeicher schienen nun allmählich leer zu sein und das war gut so.

Zum Abschluss des Tages gab es die langersehnten Spaghetti. Auch wenn ich in vergangenen Tagen keine eigentliche Leidenszeit zu überstehen hatte…man freut sich auf die Kohlenhydrate egal in welcher Form (Teigwaren, Reis oder Kartoffeln).

Ein Missgeschick passierte mir dann doch noch. yell Eine dumme, ruckartige Bewegung klemmte mir etwas im Schulter-/Nackenbereich ein. Petra’s Massage linderten die Schmerzen etwas. Hoffentlich vergeht dies bis Samstag.

Noch 2 Tage

Ruhetag! Den heutigen Tag widmete ich ganz der Körperpflege. Von Kopf bis Fuss. Meine Nacken-/Schulterschmerzen liessen einfach nicht nach. Ich konnte noch kurzfristig einen Termin bei der Physiotherapie vereinbaren. Vielen Dank Nicola!

Noch 1 Tag

Ruhetag zum Zweiten! Ich hatte mich entschlossen auf das heutige Warm-up-Läufchen zu verzichten. Die Schmerzen im Nacken-/Schulterbereich waren und sind zu gross. Die Nacht war solala. Ohne Schmerztabletten ging und geht es nicht. Wahrlich keine ideale Vorbereitung für einen anspruchsvollen und langen Wettkampf. Die Freude auf das Rennen sind natürlich durch die gesundheitlichen Umstände etwas getrübt. Noch bleiben mir rund 20 Stunden zur Besserung. innocent

Das Rennen ist wohl nicht in Gefahr, aber einen fitten Körper wünscht sich der Mann. Es wird auch so hart genug und schmerzhaft gegen Ende des Laufes. Das Leiden muss ja nicht schon an der Startlinie beginnen.

Der Transfer ins Engadin ist auf den späteren Nachmittag geplant.

Renntag

Es war 05:00 Uhr als der Wecker ertönte. Ich hatte am Vorabend entschieden eine Stunde länger zu schlafen als sonst üblich. Normalerweise stehe ich mindestens 4 Stunden vor einem Rennen auf. Doch ich hatte in den vergangenen Tagen wegen meines Nacken-/Schulterleidens schlecht geschlafen und wollte darum etwas „Zeit gut machen“.

Meine Problemzonen fühlten sich gar nicht so übel an. Den Kopf konnte ich (fast) schmerzfrei links und rechts hin und her bewegen. Es gibt sie doch…die Wunder!

Um 05:15 Uhr begab ich mich auf eine sehr lockere und kurze Laufrunde (∼ 15 Minuten), um die wunderbare Morgenstimmung aufzusaugen und den Körper und Geist zu aktivieren. Der Himmel war leicht bedeckt. Danach folgte das Frühstück (Reis) auf dem Zimmer, weil die Jugendherberge in Pontresina die Tore zum Essraum erst um 06:00 Uhr öffneten. Doch ohne Kaffee ging es natürlich nicht. Ein paar Tassen Kaffee genehmigte ich mir später im Esssaal, während Petra „normal“ frühstückte. Es waren einige LäuferInnen in der „Jugi“. Das Wetter war allseits ein Thema. Kommt er oder kommt er nicht? Der Regen war gemeint. Jeder prüfte mehrmals (!) sein Wetter-App auf dem Handy. Die Chancen waren etwa 50:50. Es blieben noch gut 90 Minuten bis zum Start. Zeit für die letzten Vorbereitungen.

08:12 Uhr. Martin war unterdessen auch im Startblock eingetroffen. Wir waren nicht in der gleichen Unterkunft untergebracht, weshalb wir uns erst kurz vor dem Startschuss trafen. Um 08:15 Uhr schickte ein lauter Knall die TeilnehmerInnen auf die Reise. Eine Reise ins Ungewisse. Martin und ich peilten eine Endzeit zwischen 6:00 und 6:30 an.

Der erste Streckenabschnitt kam mir entgegen. Von Pontresina (1‘805 m ü. M.) aus ging es ins Val Roseg (1‘999 m ü. M.). Rund 8 Kilometer lang liefen wir auf dem Wanderweg ins Tal hinein und überwanden dabei „nur“ 200 Höhenmeter. Eine sehr schöne und ruhige Landschaft. Kurz vor der ersten Verpflegungsstation tauchte Petra auf. Sie übergab mir eine leichte Jacke, denn der Himmel sah nicht sehr verheissungsvoll aus. Am Verpflegungsposten angekommen, gönnte ich mir den ersten Energy-Gel. Weitere sollten noch folgen. 6 Sachet waren es schlussendlich. Ich lag zu diesem Zeitpunkt auf Rang 6 oder 7. Martin war etwas zurückgefallen beziehungsweise hielt sich noch etwas zurück.

Weiter ging es Richtung Fuorcla Surlej, dem höchsten Punkt des Rennens (2‘755 m ü. M.). Jetzt begann der Wettkampf so richtig. Auf den rund 4 Kilometern mussten 750 Höhenmeter bewältigt werden. Ich begann bald einmal mit Marschieren. Andere taten es auch. Es wurde kühler und regnete leicht. Ich war sehr froh um die Jacke. Martin kam mir immer näher und überholte mich ungefähr bei Hälfte des Aufstieges. Ich nahm mit einem Konkurrenten die Verfolgung auf. Leider verlief sich dieser und ich „dummes Kind“ tappte ihm blindlings hinterher. Zum Glück riefen uns andere Läufer zu. So kamen wir wieder auf den richtigen Weg zurück, aber einige Plätze hatten wir durch das Missgeschick eingebüsst. Auf der Fuorcla Surlej angekommen, ging es sogleich wieder runter. Hier oben lag noch reichlich Schnee. Bis zum nächsten Verpflegungsposten musste ich mich noch etwas gedulden. Bei Murtèl, Kilometer 13,6, war es dann soweit. Martin lief gerade los, als ich ankam. Ich liess mir für die Verpflegung Zeit, da ich ohne Trinkrucksack und –gurt unterwegs war. Teilweise waren die Verpflegungsstationen 7 bis 9 Kilometer auseinander.

Frisch gestärkt, ging es weiter Richtung St. Moritz Bad. Nun mussten 1‘000 Höhenmeter auf 8 Kilometer vernichtet werden. Ich fühlte mich noch sehr gut. Dies änderte sich aber schlagartig. Ich bemerkte, dass andere Läufer bergab viel schneller rannten, als ich es konnte. In technisch schwierigen Passagen war dies eklatant. Es gab Läufer, die stürzten sich richtiggehend den Hang hinunter. Krass! So verlor ich Rang um Rang und viel Zeit. Mental war diese Phase des Rennens nicht einfach. Spätestens jetzt wurde mir klar, dass es heute nicht für eine Topklassierung reichen wird. Ich akzeptierte schlussendlich diese Schwäche (Bergablaufen). Was blieb mir denn auch anderes übrig? Was mich zu diesem Zeitpunkt am Leben hielt, war die Tatsache, dass ich auf Martin Boden gut machte. Ich kam ihm Stück für Stück näher.

In St. Moritz Bad (1‘755m ü. M.) war ich an Martin dran. Der Verpflegungspostennummer 3 war hier stationiert. Ich erblickte Petra, was mir sehr gut tat. Ein kurzer Schwatz und Schmatz und weiter ging es. Die nächste Steigung war angesagt. Der Weg führte zur Muottas de Schlaringna (2‘215 m ü. M.) hinauf. Martin war mir wieder etwas enteilt, aber im flacheren Abschnitt konnte ich wieder zu ihm aufschliessen. Im Aufstieg konnten wir den einen oder anderen Läufer überholen. Nach dem Aufstieg folgte sogleich der Abstieg. Wieder flogen uns die Konkurrenten um die Ohren, welche wir kurz vorher noch überholt hatten. Ich liess mich dadurch nicht mehr stören. Ich war im Genuss-Modus angelangt.

400 Höhenmeter vernichtete ich innerhalb 2 Kilometer und erreichte den nächsten Zwischenstopp bei Kilometer 30 in Pontresina (1‘805 m ü. M.). Petra war wiederum zugegen und gab mir ein erstes Mal Coca-Cola. Frisch gestärkt ging es weiter auf die zweite Schlaufe, nicht minder anstrengend. Mittlerweile brannte die Sonne auf uns hinunter, aber allemal besser als nass und kalt. Martin und ich marschierten „zügig“ auf die Alp Languard (2‘326 m ü. M.) hoch. Die Distanz zwischen uns vergrösserte sich zugunsten unsereins, aber kurz vor der Paradiso Hütte schlossen Martin und ich definitiv zusammen. Fortan waren wir beide unzertrennbar! wink

Auf dem Höhenweg von der Bergstation Alp Languard zum Unteren Schafberg (2‘243 m ü. M.) traf ich, wie vorgängig vereinbart, Petra. Coca-Cola zum Zweiten. Die flache Passage war irgendwie erholend und tat gut.

Als wir am Unteren Schafberg angelangt waren, kam der steile Aufstieg auf die Chamanna Segantini (2‘731m ü. M.). Zwischen den Lawinenverbauungen schlängelte sich der Pfad hinauf. Wir gingen zügig den Berg hoch und rannten sogar ich den flacheren Streckenteilen. Okay. Der Ausdruck „Rennen“ ist hier vielleicht etwas übertrieben.

Den letzten Gipfel des Tages erreichten wir nach gut 5:45. Kilometerstand: 40,1. Nach diesem letzten Verpflegungsposten ging es nur noch bergab nach Pontresina ins Ziel. Unsere angepeilte Endzeit von 6:00 bis 6:30 schien absolut machbar. Und so war es dann auch. Nach 6:27:16 überquerten wir gemeinsam die Ziellinie. smile

Es war ein sehr schönes Lauferlebnis in einer wundervollen Landschaft und prächtigen Natur. Die Organisation des Rennens war tadellos. Ich kann den Lauf nur weiterempfehlen! Wenn ich nochmals teilnehmen sollte, dann sicherlich nur mit mehr Trainingskilometer in den Beinen. Dies gilt für das Bergauf- wie auch das Bergablaufen!